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Volksmärchen

haben in Kambodscha eine lange Tradition. Kaum eine Pagode, ein Ort oder ein Berg, zu der oder dem es nicht eine bezaubernde und auch lehrende Geschichte gibt. Viele dieser Geschichten entstanden in den Klöstern des Landes und dienten als sanfte Belehrung für die Menschen.

Moral, Ethik und Weisheit spiegeln sich in den Sagen und Fabeln, die lange Zeit nur mündlich weitergegeben wurden wieder. Ab den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die Geschichten in der buddhistischen Zeitschrift "Die Sonne Kambodschas" abgedruckt. Eine große Sammlung dieser Geschichten befindet sich in Frankreich. Zur Zeit der DDR publizierte ein deutscher Verlag deutsche Übersetzungen in mehreren Büchern.  Einige Geschichten davon haben wir hier zugänglich gemacht:

Der faule Mann, der eine vollkommene Frau hatte

Ein gieriger Mensch

Geschichte von dem Mann, der ein Mittel gegen Schlangengift kannte

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(Anmerkung: Die englische Version dieser Seite enthält andere Geschichten in englischer Sprache.)

 

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Der faule Mann, der eine vollkommene Frau hatte

Eine alte Geschichte erzählt:

Es lebte einmal ein Mann, der hatte eine tugendhafte Frau. Sie hatte gute Sitten und wusste ihren Mann zu schätzen und zu verehren. Seitdem sie Mann und Freu waren, tat der Mann nichts. Er war faul, schlief immer und stand nur auf, wenn er Hunger verspürte. Dann aß er, und nachdem er sich satt gegessen hatte, ging er wieder schlafen. Wenn er rauchen wollte, drehte seine Frau Zigaretten für ihn.

Da die Frau ihren Mann schätzte und verehrte, sagte sie niemals ein schlechtes Wort zu ihm. Sie gab ihm zu essen und zu trinken und alles, was er benötigte, und dazu noch ihre Verehrung. Nach einiger Zeit waren sie sehr arm geworden. Die junge Frau fand nichts mehr, womit sie sich ernähren konnten.

Eines Tages suchte die Frau fünf Betelblätter und fünf Zigaretten aus. Dann ging sie zu ihrem Mann, hob die Hände zum Gruß und Sprach: „Ich bitte um Vergebung, lieber Mann. Weil wir jetzt sehr arm sind und nichts mehr zu essen haben, bitte ich Euch, geht in dem Wald, schlagt Holz und fertigt daraus Pflug und Egge. Dann geht mit den anderen aufs Feld, denn jetzt ist die Zeit, wo man die Felder bestellt!“ Der Mann meinte, er würde gehen, wenn es so notwendig sei. Sie sollte Reis kochen und ihn einpacken, dann wollte er in den Wald gehen, Holz schlagen und Pflug und Egge daraus fertigen. Es war bereits Nacht. Die Frau stand auf, kochte Reis, packte ihn ein und legte das Paket zusammen mit Axt und Hacke bereit.

Der faule Mann schlief bis in den hellen Tag. Seine Frau wagte nicht, ihn zu rütteln. Sie wartete, bis er von alleine erwachte. Als er aufgestanden war, schöpfte die Frau Wasser und wusch ihm das Gesicht. Dann übergab sie ihm die gedrehten Zigaretten, den Betel, das Reispäckchen und die Werkzeuge. Der Mann stieg vom Haus herunter und ging in den Wald. Dort sah er sich nach geeigneten Bäumen um. Da entdeckte er einen Baum, dessen Äste kühlen Schatten spendeten. Er legte sich schließlich auch hin, schlug die Beine übereinander, sah nach oben und redete mit sich selber: „Aus diesem Ast hier werde ich das Streichbrett des Pfluges fertigen, aus dem dort die Grindel, aus dem den Griff, aus dem das Joch, und aus dem da fertige ich die Egge.“

Obwohl er nur dalag und nichts tat, stand er zur Essenszeit auf, packte den Reis aus und aß. Nach dem Essen legte er sich wieder hin und schlief. Am Nachmittag ging er nach Hause zurück.

Als seine Frau ihn sah, lief sie ihm entgegen und nahm ihm die Werkzeuge ab. Dann führte sie ihn ins Haus, holte Wasser und wusch ihm die Füße. Danach fragte sie: „Habt Ihr etwas geschafft?“ „ich bin noch nicht fertig. Warte bis Morgen, dann gehe ich noch mal“, antwortete der Mann. Als er am nächsten Tag wieder unter dem Baum lag, hörte der Geist, der darin wohnte, den Faulen so reden wie am Vortage und bekam Angst, den er fürchtete, er würde keinen anderen Platz mehr finden, an dem er sich aufhalten könnte. So überlegte es mit den anderen Geistern und beschloss, den Faulen zu töten. Er wollte ihn an der Treppe seines Hauses erschlagen, damit er nicht wiederkomme, um diesen Baum zu fällen.

Der Mann ging nach Hause. Der Geist folgte ihm bis an den Zaun. Da sah er, wie die Frau ihrem Mann entgegenlief, ihn an der Treppe empfing und seine Füße wusch. Der Glanz dieser vollkommenen Frau hielt den Geist davon ab, einzutreten, und er wagte nicht zuzuschlagen. Der Mann war gerettet. Er ging ins Haus, und als die Frau nach seiner Arbeit fragte, antwortete er: „Morgen früh werde ich den Baum fällen.“ Der Geist bekam Angst und dachte: „Dieser Mann wird am nächsten Morgen den Baum ganz bestimmt schlagen“. So ging er zu ihm und bettelte: „Bitte, fälle diesen Baum nicht!“ Der Mann entgegnete: „Nein, morgen früh werde ich den Baum fällen.“ Da überfiel dem Geist eine große Angst, und so begann er, den Mann zu bestechen, indem er ihm sagte, er wolle ihm Plätze verraten, an denen Gold und Silber begraben liegt. Der Mann fragte sogleich: „Wie viel Verstecke verrätst du mir?“ „Zwei“, erwiderte der Geist. Der Mann sagte: „Das ist zu wenig. Wenn du mir vier Verstecke nennst, dann bin ich einverstanden. Aber du musst mir mit Holzklötzen die Stellen bezeichnen.“ Der Geist war bereit, alles zu tun, was der Mann wollte, wenn er nur seinen Baum nicht fällte. „Nu, wenn das so ist, dann werde ich morgen den Baum stehen lassen und dafür Verstecke ausgraben.“, erklärte sich der Mann einverstanden. Der Geist sagte: „Geh nur! Ich bezeichne dir jeden Platz mit einem Stück Holz.“

Am nächsten Morgen gingen Mann und Frau zu den Verstecken, die ihnen der Geist gezeichnet hatte. In jedem Versteck fanden sie so viel Gold und Silber, dass sie drei Tage lang zu tragen hatten. Endlich war das ganze Haus damit angefüllt. Die junge Frau legte es in Koffer und Kästen, aber zeigte es niemandem.

Sie mietete einen Goldschmied, der Schmuck daraus anfertigte, den sie verkaufte. Dieser Handel brachte ihnen großen Reichtum, und so wurde der Mann eines Tages Sethej. Viele Menschen kamen von da an in das Haus der beiden, wenn sie einmal Hilfe brauchten. Es wurden so viele, dass man sie bald nicht mehr zählen konnte.

Eine gute Frau weiß den Reichtum zu wahren und ein großes, behagliches Haus zu führen.

 

Buch: Märchen der Khmer, Herausgegeben von Ruth Sacher, 1979 (Insel-Verlag Leipzig)
Hintergrundbemerkung:
Dieses ist in der französischen Ausgabe "Sonne Kambodschas" unter dem Titel "Histoire du peresseux à l'épouse vertueense" (S.161-165) enthalten. (kein Autor genannt). In dieser Fassung wird der faule zwar reich aber kein Sethej. Die Geschichte enthält budhhistische Polemik gegen den Aberglauben: Der Mensch verdrängt dumme, nichtmenschliche Wesen aus dem Einfußbereich. Am Schluß werden neue ökonomische Verhältnisse, die sich im Schoße des Feudalismus herausbilden, angedeutet: Der Reichtum des Sethej entsteht durch das Manufakturwesen. Der Spruch am Ende formuliert die Aufgabe für die bürgerliche Frau. Das Geistmotiv bildet den Schluß des Monmärchens "Ataplem". Das Motiv vom Baumgeist, der verhindern will, dass sein Baum gefällt wird, ist indischer Herkunft (Aarne/Thompson 1168 B)

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Ein gieriger Mensch

Aus alter Zeit ist uns diese Geschichte überliefert:

Es war einmal ein Mädchen von vierzehn Jahren, das sollte für seine Mutter Bataten ausgraben. Das Mädchen bereitete alles vor und ging, um Bataten zu suchen.

Es kam in einen großen Wald, dort war ein Hügel mit einem tiefen Loch. Am Fuße dieses Hügels grub das Mädchen Bataten aus, und plötzlich fiel ihm die Schaufel in das Loch. Das Mädchen wusste nicht, was es tun sollte, und in seiner Ratlosigkeit rief es: „Wer hilft und meine Schaufel zurückholt, dem will ich auch einen großen Dienst erweisen!“ Als es so rief, kam ein alter Tiger aus dem Wald. Er hatte am Kopf eine Wunde, und er kratzte sich mit den Pfoten, weil die Würmer ihn juckten, die in der Wunde waren. Er sagte: „Mädchen, ich kann dir deine Schaufel wiederholen, aber ich brauche deine großen Dienste nicht, sondern für die Schaufel sollst du mich lausen, das würde mir schon genügen.“ Das Mädchen entgegnete: „Ja, Großvater. Wenn Ihr mir nur helft, dann bin ich mit allem einverstanden.“ Da holte der Tiger die Schaufel aus dem Loch und gab sie dem Mädchen. Nun forderte er es auf, ihn zu lausen. Das Mädchen holte einen Dorn und entfernte damit die Würmer aus der Kopfwunde. Der Tiger fragte immer wieder: „Mädchen, stinkt meine Wunde oder reicht sie gut?“ Die Wunde stank sehr, aber das Mädchen antwortete jedes mal: „Sie riecht gut, Großvater“. Das Mädchen sagte nichts anderes, sooft der Tiger auch fragte. Als sie die Wunde gereinigt hatte, war der Tiger gesund, und auch das Jucken hatte aufgehört. Er sagte: „Mädchen hole deinen Korb, ich will ihn dir mit Bataten füllen!“ Das Mädchen holte einen Korb, und der Tiger füllte ihn bis obern hin mit Gold und Silber. Er band ihn fest zu, gab ihn dem Mädchen und saget: Trage ihn nach Hause, rufe deine Geschwister herbei, und bevor du den Korb öffnest, verschließe die Tür!“ Das Mädchen verabschiedete sich vom Tiger und ging nach Hause. Es reif seine Geschwister herbei, und sie öffneten den Korb. Als sie das Gold und Silber sahen, teilten sie es unter sich auf.

Nach einiger Zeit erfuhr eine Frau davon, die ebenfalls eine junge Tochter hatte. Sie beschimpfte ihr eigenes Kind und sagte: „Du dummes Ding, sieh dir das andere Mädchen an! Sie geht Bataten ausgraben und kommt mit Gold und Silber zurück, das sie nun mit den Geschwistern geteilt hat. Wenn du Bataten holen gehst, dann bringst du Nichtsnutz immer nur Bataten!“

Am nächsten Tag schickte die Mutter ihre Tochter nach Bataten. Weil sie auch gerne den Tiger treffen wollte, tat sie als ob sie die Schaufel in das Loch fallen gelassen hätte, und rief: „Wer mir hilft und meine Schaufel zurückholt, dem will ich einen großen Dienst erweisen!“ Der Tiger holte sie ihr, dann lies er sich vom Mädchen die Würmer aus der Wunde entfernen. Er fragte wie beim ersten Mal: „Mädchen, stinkt meine Wunde oder riecht sie gut?“ Das Mädchen antwortete: „Sie stinkt sehr“ Als der Tiger das hörte, sagte er: „Hole einen Korb, ich will ihn dir mit Gold und Silber füllen.“ Das Mädchen holte einen Korb, und der Tiger füllte ihn bis obenhin mit Kobraschlangen. Als er dem Mädchen den Korb zurückgab, sagte er: „Geh nach Hause, rufe deine Geschwister, aber verschließe die Türe gut, bevor du den Korb öffnest!“ Als das Mädchen zuhause war, erzählte es der Mutter alles. Die Mutter freute sich sehr. Sie rief ihre Kinder herbei, ließ die Türe schließen, dann öffnete sie den Korb um zu sehen, was drin wäre. Da krochen die Kobraschlangen heraus, sie bissen die Menschen, die im Haus waren, und alle starben.

Wer unbedingt Glück haben will, der verliert alles.

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Geschichte von dem Mann, der ein Mittel gegen Schlangengift kannte

Eines Tages machte sich ein Man namens Sokh auf den Weg in den Wald, um Holz zu schlagen. Als er im Wald an der Stelle, wo er das Holz schlagen wollte, angekommen war, sah er am Fuße eines Hügles neben dem Weg einen toten Tiger liegen. Chaov Sokh forschte nach der Ursache und sah, dass dieser Tiger an einem Schlangenbiss gestorben war, denn unter dem Tiger war ein Schlangenloch.

Chaov Sokh hatte ein  wohltätiges Herz für diese Tierleiche, öffnete sein Bündel, nahm eine Salbe und rieb sie damit ein. Im nächsten Augenblick kam der Tiger zu sich. Er sah seinen Körper mit Salbe bestrichen, da empfand er Ärger über den Mann, der ihn mit Salbe bestrichen hatte, und sagte: „Was ist der Grund, dass du wagst, meinen Körper mit irgendetwas so zu beschmieren?“

„Ich kam hierher, sah, dass du tot warst durch einen Schlangenbiss, und bestrich dich mit Salbe, damit du lebst, nicht wahr.“

Der Tiger sagte: „Wieso war ich tot, wann soll mich eine Schlange gebissen haben? Ich habe doch geschlafen. Unter diesen Umständen muss ich dein Leben haben und dich zu meiner Nahrung machen.“

Chaov Sokh hatte große Angst vor dem Tode und flehte den Tiger an: „Bruder, habe Mitleid mit mir! Töte mich nicht gleich, warte, dass ich jemanden mit Weisheit hole, um Gericht zu halten. Wenn ich im Unrecht bin, dann nimm mir das Leben, wenn ich im Recht bin, laß mir mein Leben.“

Der Tiger war mit der Bitte von Chaov Sokh einverstanden. Chaov Sokh ging zurück und traf auf dem Weg ein Pferd und einen Büffel.

Da sagte er: „Ihr beiden, bitte helft mir, am Leben zu bleiben. Denn ein Tiger, den eine Schlange gebissen hatte, kam wieder zu Leben, weil ich ihn mit Salbe bestrichen hatte. Aber er will mich töten. Er sagt, ich habe ihn aufgeweckt und seinen Körper beschmiert.“

Die beiden Tiere kannten nun die ganze Geschichte, dachten nach und erkannten: Der Wahrheit gemäß müsste dieser Mann in dem Fall über den Tiger gewinnen. Aber wenn wir den Mann gewinnen lassen, wird sich der Tiger unweigerlich an uns rächen und uns fressen.

Dann sagten sie zu Chaov Sokh:

„Unser Bruder ist im Unrecht, soll der Tiger ihn fressen.“

Chaov Sokh fürchtete sich noch mehr und verließ das Pferd und den Büffel. Schnell ging er weiter, bis er den Richter Hase traf. Chaov Sokh berichtete ihm von dem Vorgefallenen. Richter Hase kannte nun die ganze Geschichte und sagte zu Chaov Sokh: „Geh und flehe den Tiger weiter an, ich komme dir dann zu Hilfe.“

Als der Mann noch mit dem Tiger stritt, kam Richter Hase an, tat, als wisse er von nichts und fragte: „Brüder, ihr beide, worüber streitet ihr euch?“

Der Tiger und Chaov Sokh erzählen ihm da die Geschichte, jeder auf seine Weise.

Der Hase entschied: „Wenn das so ist, musst du, Bruder Tiger, dich genau an dieselbe Stelle zum Schlafen hinlegen, so lange wie beim ersten Mal. Wenn es Zeit ist, dich zu wecken, und du bist nicht tot, dann magst du diesen Mann töten und zu deiner Nahrung machen.“

Der Tiger legte sich schlafen, wie ihm geheißen. Die Schlange aber kam aus ihrem Loch und biss den Tiger, dass er starb. Richter Hase sah, dass der Tiger tot war, da sagte er zum dem Mann: „Bruder, bestreiche ihn nicht wieder mit Salbe, dass er lebendig wird.“

Das sagte er, verließ Chaov Sokh und ging zurück zu seiner Wohnung.

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